Isfahan markiert den südlichsten Punkt unserer Reise – und zwar 1.800km südlicher als Herrngiersdorf, wer es genau wissen möchte – und streckenmäßig haben wir mit etwa 5.300km die Halbzeit erreicht. Nach den anstrengenden Tagen, die hinter uns liegen, und den eher unfreiwilligen aber dafür die Reisekasse schonenden Übernachtungen an Autobahnrastplätzen, gönnen wir uns eines der besten Hotels der Stadt, das Parsian Kowsar Hotel. Direkt am Zayandeh-Fluß, dem Hauptwasserspender der gesamten Region, gelegen, besticht es mit edlem Ambiente, internationalem Flair und einer Hochleistungsklimaanlage, die keinen Zweifel mehr offen lässt, dass das Land auf Atomenergie angewiesen ist.
Am Abend genießen wir zum ersten Mal echte persische Küche mit verschiedenen Kebab-Spießen und leckerem Safran-Reis mit zerlassener Butter. Gut gesättigt schlendern wir noch kurz durch den belebten Park am Fluß und über die nahegelegene Si-o-se-Pol-Brücke, eines der vielen Jahrhunderte alten Wahrzeichen der Stadt, die wie die meisten öffentlichen Gebäude hier in den Nachtstunden in romantisches Licht getaucht wird.
Where are you from?
Wir werden sofort von allen Seiten freundlich angesprochen, auf Englisch und manchmal sogar Deutsch. Fast immer sind es Stundenten, die sich freuen, wenn sie ihre Zweit- oder Drittsprache im direkten Kontakt mit Ausländern üben können. Nach den üblichen Aufwärmfragen, woher wir kommen, wohin wir wollen, ob es unser erster Besuch im Iran ist und wie es uns hier gefällt, lassen sie die Katze langsam aus dem Sack und möchten sich gegen kleines Geld als Fremdenführer anbieten.
Derartige Angebote bekommt man übrigens, wie wir später feststellen, an praktisch jeder Ecke unterbreitet. Und ein solcher Tour-Guide hat einige Vorteile. Man bekommt nicht nur historische Eckdaten zu den Sehenswürdigkeiten erzählt, sondern hat auch automatisch einen Dolmetscher dabei, was insbesondere auf den Basaren nützlich ist. Außerdem kennen sie oft lohnenswerte Orte für Foto-Motive, an die man sonst nur durch Zufall käme. Kleiner Tipp: Wer Überraschungen nicht mag, sollte den Preis für die Führung besser vorher aushandeln!
In den meisten Situationen erwarten die Menschen hier jedoch keine Gegenleistung für ihre Hilfe und lehnen diese auch nach mehrmaligem Daraufbestehen vehement ab. Aufmerksam, ja fast schon instinktiv, nehmen sie Situationen war, wo sie ihre Hilfe anbieten können und das auch immer tun. Als Tom und ich eines Mittags die nähere Umgebung nach einem Barbier absuchen, dauert es nur wenige Minuten, bis wir von Milad, einem Studenten, der gerade seinen Einkäufen nachging, nach unserem gewünschten Ziel angesprochen werden. Er zeigt uns daraufhin nicht nur den Weg, er bringt uns auch persönlich dort hin. Und dieser ist sogar bereit, seine Siesta für uns zu opfern.
Wohnzimmeratmosphäre überall
Die Stadt ist auffallend sauber und gepflegt. Sie wirkt, abgesehen von Tagestemperaturen um 42°C, genauso weltoffen und lebhaft wie jede andere Großstadt dieser Welt. Viele Teile der Innenstadt (insbesondere am Flussufer) sind mit ausgedehnten, parkähnlichen Grünflächen ausgestattet, die leider extrem aufwendig bewässert werden müssen, um nicht in kürzester Zeit auszutrocknen. Zwar wirken viele Gebäude ein wenig sanierungsbedürftig, aber nie wirklich vernachlässigt. Die Menschen in Isfahan (und das gilt sicher für das ganze Land) kümmern sich um alles. Um ihre Errungenschaften und vor allem um ihre Mitmenschen. Hilfe zu verweigern, ist ihnen fremd. So sehen wir kaum Elend oder Armut, nur selten Vandalismus und überraschend wenig Polizeipräsenz (nämlich fast gar keine). Auch Verbotsschilder nehme ich nur selten wahr.
Isfahan ist auch die wahrscheinlich sicherste Großstadt (immerhin über 2 Mio. Einwohner), die ich je gesehen habe. Dass Familien mit ihren Kindern noch lange nach Mitternacht durch die oft künstlerlisch beleuchteten Straßen flannieren oder sich auf den zahlreichen Grünflächen zum allseits beliebten Picknicken niederlassen, versetzt uns zuerst in schieres Staunen. Nicht nur wegen der klimabedingten Verschiebung des Tag-Nacht-Rhythmus, sondern vor allem weil jeder die Stadt als ein gemeinsames Wohnzimmer zu begreifen scheint und sich so rücksichtsvoll verhält, als wäre er beim Anderen zu Gast.
Von Mittag bis Nachmittag, wenn die Sonne erbarmungslos am Himmel glüht, sind viele Geschäfte geschlossen und die meisten Menschen verlassen ihre in der Regel klimatisierten Häuser nur, wenn es unbedingt nötig ist. Erst am Abend, wenn die extrem trockene Hitze wieder nachlässt, nimmt das bunte Treiben auf den Straßen zu und hält bis zum Morgengrauen an.
Zahlen, bitte!
Wir statten dem berühmten Basar am Platz des Imams einen ersten Besuch ab. In einem Labyrinth aus überdachten Gassen, in denen es angenehm kühl ist, reihen sich die kleinen Geschäfte der Händler lückenlos aneinander, von denen jedes auf eine bestimmte Nische spezialisiert ist, wie beispielsweise Kleidung, Gewürze, Nüsse, Teppiche, Elektronik oder Haushaltsgegenstände. Das Konzept von Einkaufszentren oder Supermärkten ist hier eher unbekannt. Bestenfalls kleine Gemischtwarenläden mit Sachen für den täglichen Bedarf findet man hier und da.
Wir ergattern erste kleine Mitbringsel und scheitern beim Bezahlen anfänglich immer wieder am doppelten Währungssystem des Landes. Die offizielle Währungseinheit ist der Rial, der auch auf den Geldscheinen angegeben ist. Die Preise werden jedoch meistens (aber nicht immer) in sogenannten Toman angegeben, der genau ein Zehntel eines Rial darstellt.
Die erste Hürde besteht also zunächst darin, die gewünschte Währungseinheit zu erkennen. Aus Bequemlichkeit nennen die meisten Händler den Preis außerdem nur in Tausendereinheiten. Verlangt er nach „Fifty“, meint er in der Regel 50.000 Toman, was man dann wiederum mit 500.000 Rial zu begleichen hat. Erschwerend kommt hinzu, dass zahlreiche Güter und Dienstleistungen preislich nicht mit denen aus europäischen Ländern vergleichbar sind. Eine Schachtel Zigaretten kostet beispielsweise gerade einmal 75.000 Rial, das entspricht etwa 75 US Cent. Eine Dose Cola wechselt schon für umgerechnet 8 US Cent den Besitzer. Und den Liter Sprit tanken wir teilweise für gerade einmal 3 US Cent. So fehlt uns leider oft das Bezugssystem, aus dem wir ableiten können, welches der beiden Währungssysteme gerade gemeint sein könnte.
Der Platz des Imams
Der berühmte Platz des Imams, der Naqsch-e Dschahan, ist mit 560m Länge und 160m Breite der zweitgrößte öffentliche Platz der Welt und seit 1979 UNESCO-Weltkulturerbe. Das entlang der Nord-Süd-Achse ausgerichtete Rechteck ist angelegt wie ein Park mit penibel gepflegten Rasenflächen, die zum Verweilen einladen (sofern man der Sonneneinstrahlung trotzen kann). Pferdekutschen können dort für kleine Rundfahrten gemietet werden und ein großes Wasserbecken in der Mitte bietet sich zum Plantschen an. Der gesamte Platz wird von zweistöckigen Arkaden eingerahmt, die neben dem Basar auch zahlreiche Restaurants, Teestuben und Handwerksateliers beherbergen. Zwei große Moscheen, der ehemalige Königspalast und prächtige Eingangstore, die sich an den Seitenflächen verteilen, machen den Platz zu einem Arrangement historischer Sehenswürdigkeiten, das täglich unzählige Besucher anzieht. Und jede Menge selbsternannte Fremdenführer.
Am späten Abend dann, wenn das Thermometer fällt, verwandelt sich der Platz zum Treffpunkt für hunderte Menschen aller Altersgruppen. Ganze Familien mit Kindern und Großeltern besuchen diesen Ort zum Picknicken und Spielen. Das sandfarbene Mauerwerk der umgrenzenden Arkatur schimmert dann in goldenem und silbernem Licht. Und der Rasen ist gespickt mit kleinen, weißen Lampen, die den ganzen Platz wie einen begehbaren Sternenhimmel erscheinen lassen. In einer friedvollen und beinahe andächtigen Atmosphäre, für die ich keinen Vergleich finde, wird fast die ganze Nacht lang überall gekocht, gegessen, geredet und gelacht. Nirgends vernimmt man Lärm oder Aggression, sondern nur ein harmonisches Miteinander.
Mittendrin statt nur dabei
Nach drei Nächten Luxus, die wir uns nur Dank des derzeit phänomenalen Wechselkurses leisten können, wechseln wir zugunsten der erlebbaren Authentizität in das Isfahan Traditional Hotel. Mit dem großen Basar nur wenige Meter entfernt, schmiegt es sich zwischen die Geschäfte in einer engen Gasse, durch die wir unsere Boliden nur mit maximalem Feingefühl zwängen können. In dieser liebevoll eingerichteten Herberge, die aus den Geschichten aus Tausendundeiner Nacht entsprungen sein könnte, verbringen wir die kommenden zwei Nächte. Die Tage füllen wir mit dem Besuch diverser Sehenswürdigkeiten, wie zum Beispiel der Freitagsmoschee, die größte des ganzen Landes, der Vank-Kathedrale im armenischen Viertel, oder dem riesigen Blumengarten, der das Auge mit farbenfrohen, verspielten Ornamenten verzaubert, die hier aufwendig in den perfekt gestutzten Rasen gepflanzt wurden.
Und natürlich warten wir auf die erlösende Nachricht von Hamid, unserem emsigen Schrauber, dass Molly wieder zu einem Stück zusammengesetzt und auch ja keine Schraube übrig geblieben ist. Immer wenn die Verzweiflung unter uns zunimmt, überlegen wir uns mal mehr und mal weniger ernst gemeinte Alternativpläne, wie wir die Route fortsetzen können, falls die Reparatur länger als angekündigt dauern sollte oder sogar wirkungslos bliebe. So werden kurz die Fährverbindungen über das Kaspische Meer recherchiert oder gar die Visa-Formalitäten für Russland besprochen. Alles hängt davon ab, ob wir innerhalb des fünftägigen Zeitfensters, in dem unser Turkmenistan-Visum gültig ist, dort ein- und auch wieder ausreisen können.
Aber alles wird gut. Am Abend des 08.08.2019 bekommen wir nicht nur Molly zurück, sondern obendrein noch zwei kleine Flaschen selbstgebrannten Alkohol aus Hamids Privatbesitz, der geschmacklich stark an Trester erinnert und den wir uns zur Feier des Tages auf der Terasse unseres Hotels in den Hals kippen. No risk, no fun!
On the Road again
Mit zwei Tagen Verzug verlassen wir am 09.08.2019 Isfahan und freuen uns auf unsere erste Wüstendurchquerung. Eigentlich wollten wir an diesem Tag bereits nach Turkmenistan einreisen. Nun müssen wir die 1.200km bis zur Grenze am Stück bewältigen und haben so leider keine Zeit für einen Besuch des Golestan Nationalparks geschweige einen Abstecher zum Kaspischen Meer. Die Temperaturen steigen auf unerträgliche 43°C, der Himmel wird zum Backofen. Jeder Moment ohne Beschäftigung wird entweder mit Flüssigkeitsaufnahme oder der Suche nach ein wenig Schatten verbracht.
Die lebensfeindliche Landschaft, die sich monumental vor unseren Augen ausbreitet, wirkt gewaltig, endlos und unberührt. Kilometerweit geschwungene Ketten von Sandhügeln, die sich über Jahrmillionen hinweg in allen vorstellbaren Grau- und Beigetönen aufgeschichtet haben, ziehen stundenlang zu beiden Seiten an uns vorbei. Die gute Beschaffenheit der Straßen erlaubt ein zügiges Vorankommen. Über 700km schaffen wir an diesem Tag. Ein neuer Rekord!
Hassan
Um unserer Sehnsucht nach Freiheit und Abenteuer Rechnung zu tragen, entscheiden wir uns in der Nähe der Stadt Schahrud zum Wildcampen und erleben ein letztes Mal iranische Gastfreundlichkeit par excellence. Hassan, ein Obstbauer aus der Region, der sich angesichts der Trockenheit um seine Ernte sorgt, bringt uns auf seinem kleinen Hof in der Nähe seines Feldes unter, nachdem er unsere Ratlosigkeit bei der Suche nach einem geeigneten Stellplatz in der Abenddämmerung erkennt. Er bietet uns sein Haus und die Terrasse als Schlafplatz an und bereitet uns noch köstlichen Tee aus frischen Kräutern aus seinem Garten zu. Zum ersten Mal können wir auch unsere Bierbänke und die Kochausrüstung einsetzen. Es gibt Nudeln mit selbstgemachter Tomatensoße. Leider ohne den passenden Rotwein. Aber das macht uns nichts aus. Wir alle sind froh, wieder ohne Zwangsunterbrechungen unterwegs zu sein.
Torschlusspanik
Noch etwa 500km bis zur Grenze nach Turkmenistan. Nach einem reichhaltigen Frühstück, wofür unser Gastgeber extra noch Brot, Käse und Eier besorgt, brechen wir zum Grenzort Bajgiran auf. Die Hügelketten, die tagszuvor den Horizont der Wüste in weiter Ferne gesäumt haben, rücken nun immer näher und die Anstiege nehmen wieder zu. Für Molly ist das Gott sei Dank kein Problem mehr. Dennoch brauchen wir, nicht zuletzt wegen zahlloser Fotopausen, länger als erwartet für die letzte Etappe und erreichen die Grenze daher erst am späten Nachmittag, nur wenige Minuten vor Toresschluss. Ja, richtig. Viele Grenzübergänge in diesem Teil der Welt haben nicht rund um die Uhr geöffnet, sondern schließen am Abend.

Aber wie nicht anders zu erwarten war, treffen wir auch hier auf einen hilfsbereiten iranischen Grenzbeamten, der unsere Not sofort erkennt und mit uns im Schweinsgalopp durch die Passkontrolle und die Zollabfertigung (im Grunde entfällt sie einfach) scheucht. Einmal im Leben mit überhöhter Geschwindigkeit über ein Grenzgelände rasen, kann ich nun auch von meiner Liste streichen. Und glücklicherweise hatten auch die Kollegen auf der turkmenischen Seite noch nicht den Feierabend eingeläutet. Wie es von dort weitergeht und welche bizarren Erlebnisse wir diesem Land zu verdanken haben, erzähle ich euch beim nächsten Mal.
Mein Fazit zum Iran: Unbedingt hinfliegen!
wow….Awesome! very nice article buddy. wishes the team more successes! have more fun and experienced the world. thank you.
Astrein geschrieben, vielen Dank für das ‚Teilhabenlassen‘.
Großartig!
Isfahan bei Nacht, kennen wir nicht – das nächste Mal ganz bestimmt
Bleibt fasziniert.