„Da fährst Du also auch mit?“ „Hast Du keine Angst?“ „Musst Du dann auch Kopftuch tragen?“ „Fühlst Du dich dadurch nicht unterdrückt?“ „Das ist aber kein gutes Reiseziel für Frauen!“ „Das ist doch eh alles so unsicher da…“ „Als Frau ins Krisengebiet also?!“ „Also, für mich wär das ja nix, mich da so vielen Gefahren auszusetzen, aber mach Du nur…!“
Diese Sätze und viele mehr habe ich im Vorlauf der Rallye von Freunden, Bekannten und Verwandten zu hören bekommen. Von Überfürsorge über Missbilligung und meiner Ansicht nach verklemmten Vorurteilen war alles dabei. Aus diesem Grund möchte ich Euch von ein paar Erlebnissen der Rallye erzählen. Nicht nur, um meine Erfahrungen mit Euch zu teilen; sondern auch, um Euch zu zeigen, dass die Länder, die wir bereist haben, mehr als ihre Klischees sind.
Ich packe meinen Koffer und nehme mit… eine Zylinderkopfdichtung!
Wie Ihr alle als treue Follower auf Facebook und Instagram wisst, gab es gerade zu Beginn der Rallye viel Stress um Molly (siehe hierzu auch unseren letzten Blogpost, in dem Ihr alle Details dazu findet). Da ich erst nach meinen Klausuren zur restlichen Gruppe gestoßen bin, lag es an mir, die Ersatzteile für Molly zu liefern; in meinem Fall war das eine Zylinderkopfdichtung. Rückblickend finde ich es absolut skurril, dass ich mit ein paar Zylinderkopfdichtungen und hoffentlich passenden Schrauben in den Iran eingereist bin – aber zu dem Zeitpunkt war es das normalste der Welt für mich. Da Molly erst von unserem Mechaniker Hamid und seinem Team repariert werden musste, hatten wir eine Woche Zeit, Isfahan zu erkunden.

Kopftuch Shopping im Iran
Iran ist wie Deutschland – nur anders. Es gibt Pancakes und O-Saft zum Frühstück, überall bekommt man Coca Cola und Eiscreme. Der einzige Unterschied? Bauwerke wie die Si-o-se-pol Brücke sind weitaus beeindruckender, es gelten gefühlt keine Straßenverkehrsregeln und die Frauen tragen Kopftuch. Ach ja, es war auch trotz des Klimawandels noch deutlich heißer als in Deutschland. Davon abgesehen, dass ich also kein Persisch spreche und auch außerhalb religiöser Stätten eine Kopfbedeckung tragen musste, hätte es genauso gut ein Urlaub in Italien sein können.

Um nicht direkt als nichtswissender Touri enttarnt zu werden, entschloss ich mich, ein neues Kopftuch zu kaufen. Nach dem ersten Frühstück im Hotel wurde mir nämlich bereits klar: Ich trug mein Kopftuch viel konservativer als die meisten Frauen hier. Sie hatten es nur mit ein paar Klammern am Hinterkopf befestigt und locker um den Hals geworfen. Als ungeübte Anfängerin sah ich hingegen nicht so lässig dabei aus. Am Bazar half mir ein älterer Herr schließlich bei der Auswahl. Als ich das Kopftuch dann aber in seinem Laden wechseln wollte, war das ein absolutes No Go. Schließlich darf ich mich als fremde Frau ja nicht vor ihm enthüllen – oder so ähnlich, haram eben. Also ging es für mich weiter, bis ich irgendwann im Laden einer sehr netten jungen Frau stand. Obwohl die Kommunikation nur mit Händen und Füßen möglich war, durfte ich mein neues Kopftuch schließlich bei ihr, selbstverständlich nur im Hinterzimmer, wechseln und sie zeigte mir, wie ich es richtig umlegte. Dass das eine Kunst für sich ist, konnte ja keiner ahnen!

Achtung! Frau am Steuer! (in einem der unfallträchtigsten Ländern der Welt)
Dass Frauen nicht Auto fahren können ist ja eh eines meiner liebsten Klischees. Man addiere dies mit der StVO im Iran und man erhält … Moment mal, welche StVO nochmal…?! Freie Fahrt und Hupen scheint hier einen außergewöhnlich hohen Stellenwert zu haben (ja, sogar höher als bei den BMW-Fahrern hier in Deutschland). Obwohl Iran unter den Top 10 Ländern mit den meisten Verkehrstoten weltweit rangiert, war das Fahren selbst tatsächlich kein Problem, wenn man sich an die „Regeln“ der Einheimischen hielt: Hupen, Hupen, Gas geben, Abbremsen, Hupen. Echt nett. Tatsächlich sieht man aber in ganz Isfahan Frauen am Steuer – anders, als es viele von Euch in einem Land wie dem Iran wohl erwartet hätten.
Aus diesem Grund fand ich es erst recht amüsant, dass der männliche Part unserer Rallye Belegschaft unsere schnuckelige Helga etwas zu unsanft um eine Kurve bugsiert, und dadurch leicht ramponiert hat.
Nachdem wir Isfahan schließlich mit einem lachenden und einem weinenden Auge verlassen hatten, ging es weiter in den Osten Irans. Im Gegensatz zum Rest der Truppe war es für mich der erste Streckenabschnitt, den ich absolvierte.

Als wir das letzte Mal im Iran unser Lager für die Nacht aufschlagen wollten, trafen wir auf Hassan und seine Frau. Sie haben uns ihren Garten für die Nacht zur Verfügung gestellt. Da ich – zugegeben – das Kopftuch nicht während der Fahrt trug, wollte ich es schnell anziehen, als das Ehepaar auf uns zu kam. Anstatt mein offenes Haar zu beanstanden, lachten die beiden nur und meinten, ich müsse es doch bei ihnen nicht tragen.

Heiratsvermittlung an der turkmenischen Grenze
Am Tag darauf ging es nach Turkmenistan. Eine nette Diktatur. (Da wir bisher leider noch nicht dazu gekommen sind, den Länderblogpost für Turkmenistan fertig zu stellen, möchte ich an dieser Stelle nicht zu viel vorweg nehmen. Diesem skurrilen Land muss ein eigener Artikel gewidmet werden. Zur Zeit sind wir aber ja alle #TeamStayAtHome, also bleibt gespannt!)

Nachdem wir uns durch Wüsten, brennende Krater und Straßen, die diesen Namen nicht verdienten, gekämpft hatten, kamen wir bald an der turkmenisch-usbekischen Grenze an. Erster Stopp: Besuch beim Grenz-Arzt! Unser Ass im Ärmel war wie immer auch hier Valle, durch dessen Sprachkenntnisse uns alle Beamten stets wohlgesonnen waren. Der Arzt, der bei uns an der turkmenischen Grenze gerade noch die Temperatur gemessen hatte, hatte für Valle und mich allerdings ganz andere Pläne: Er versuchte sich neben seiner höchst anstrengenden Arbeit als temperaturmessender Arzt zudem als Heiratsvermittler. Da sowohl Valle als auch ich beide älter als 18 waren und noch nicht verheiratet und noch keine Kinder hatten, musste dieser Missstand natürlich schleunigst beseitigt werden.
Spoiler: Tatsächlich hat keine Hochzeit stattgefunden. Der Grenz-Arzt hat sich aber bemüht.
Melons and more
Nachdem wir Turkmenistan hinter uns gelassen hatten, waren wir auch schon in Usbekistan. Das zweite Stan-Land auf unserer Liste hatte mein Herz spätestens am zweiten Abend erobert: Wir kamen spät abends in Xiva, einer alten Stadt entlang der Seidenstraße, an. Es war überfüllt, bunt und von allen Seiten drängte Lärm und Musik. Nachdem wir glücklicherweise ein Hostel gefunden hatten, ging es ans Parken. Mit zwei SUVs und unserer kleinen Helga tatsächlich nicht so einfach. Ein netter Passant schuf etwas Platz, indem er zusammen mit Sven und Papa (also Tom) ein parkendes Taxi wegschob… hatte ich zuvor so auch noch nicht gesehen.

Als wir auf dem Weg in die Altstadt waren, um dem Trubel nachzugehen, sahen wir überall Melonen und Kürbisse. Xiva feierte nämlich gerade das jährliche Melonen- und Kürbisfest! Alle Dörfer der Umgebung bewarben sich mit ihren schönsten Melonen (ich meine das Obst/Gemüse – oder als was auch immer Ihr Melonen seht -, versteht sich) und der Gewinner bekam ein Auto für sein Dorf. Nachdem ich mich kurz selbst als Melone fühlen musste, wurden wir sogar von den Gewinnern zum Essen eingeladen! Es gab frisches Obst, so viel Melone man wollte und Tarte aus Kürbis. Ich war im Himmel.
Wir haben meistens gewartet oder gek*ckt. – Unbekannt
Auch die unschönen Seiten der Rallye sollten uns bald einholen. Magen-Darm-Erkrankungen, Lebensmittelvergiftung und Lagerkoller. All‘ das war aber vergessen, als wir unser Ziel in Tadschikistan erreichten: Isfara. In der zurecht selbst ernannten Stadt der Aprikosen lag das Projekt von Operation Mercy, das wir mit unserer Rallye unterstützten.
Wir wurden von den Helfern vor Ort mit offenen Armen willkommen geheißen. Ein junges Ehepaar aus Pakistan, das ebenfalls für Operation Mercy arbeitet, sind wir zu einem traditionellen Abendessen eingeladen worden. An dem Abend haben wir auch Dorit, eine weitere Entwicklungshelferin aus Deutschland, kennengelernt. Sie hat Mama (aka Petra) und mich zu einer Gruppentherapie eingeladen. In den Gruppentherapien sind alle Kinder mit Behinderung und deren Mütter eingeladen. Der Vormittag ist mit Spiel und Spaß für die Kleinen verbunden. Den Müttern wird dadurch ein offenes Ohr und ein offenes Herz geschenkt; für viele von ihnen ist es unter anderem ein Zufluchtsort aus ihren Familien, die kein Verständnis aufbringen und Hilfe anbieten, sondern nur Verachtung für die Behinderung ihres Kindes zeigen wollen. Teil dieser Gruppe sein zu dürfen – wenn auch nur für einen Vormittag – hat mich sehr gerührt. Nicht nur, dass die Frauen, die mich als Fremde genauso gut ausgeschlossen haben könnten, so herzlich aufgenommen haben; sondern auch, weil mir noch einmal klar wurde, weshalb unsere Rallye so wichtig war: Durch die Sachspenden und Spendengelder wird den Frauen und Kindern geholfen, die ansonsten von der Gesellschaft verachtet werden und hilflos blieben. Sie nannten ihre Gruppe „Group of Hope“, weil sie ihnen genau das gab, was sie suchten. Privilegien, die ich in Deutschland als selbstverständlich und einfach gegeben erachtete, wurden mir an diesem Vormittag mehr als sonst klar.


Last but not least:
Zu guter letzt möchte ich wirklich all‘ die Fragen, die ich oben sehr sarkastisch aufgeworfen habe, beantworten.
„Da fährst Du also auch mit?“
Ja klar!
„Hast Du keine Angst?“
Wovor genau?
„Musst Du dann auch Kopftuch tragen?“
Ja genau! Wie auf der Romfahrt 2014, als wir von Kirche zu Kirche gehopst sind!
„Fühlst Du dich dadurch nicht unterdrückt?“
Nicht mehr als die durchschnittliche Frau in Deutschland es ist.
„Das ist aber kein gutes Reiseziel für Frauen!“
Danke für den Tipp, Lisa. Nächstes Mal fahre ich zum Shoppen ins DEZ!
„Das ist doch eh alles so unsicher da…“
Ich war immer angeschnallt… also…
„Als Frau ins Krisengebiet also?!“
Wir waren in Zentralasien, nicht in Washington D.C.!
„Also, für mich wär das ja nix, mich da so vielen Gefahren auszusetzen, aber mach Du nur…!“
Oooops, I did it again…
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